Homo Absolutus

Nach den Kulturen

 

Gebunden, 560 Seiten

Verlag Antaios, Schnellroda 2008

2. verbesserte Auflage 2015

 

Vorwort zur 2. Auflage

 

Dieses Buch verlangte dringend nach einer Neuauflage. Nicht nur, weil der Homo Absolutus seit Jahren vergriffen ist, sich aber bleibender Nachfrage erfreut, sondern mehr noch, weil er sich als ein übereilt ausgegossenes Füllhorn luzider Gedanken und Beobachtungen zeigte, die in ihrem Dahinfließen oft gar nicht mehr auf ihr Äußeres, auf ihr sprachliches Auftreten achteten, sondern, berauscht von sich selbst, nur noch ans Licht getragen werden wollten. Man merkt dem Buch die Ungeduld, ja Fiebrigkeit an, mit der die mehr als tausend Sequenzen einst in relativ kurzer Zeit, zumeist zwischen 2005 und 2006, geschrieben und aus einem noch weit größeren Konvolut zusammengestellt worden sind. Wer hier schrieb, tat das nicht aus bloßer Mitteilungsfreude, sondern weil er im Schreiben die einzige Möglichkeit sah, sich  dem Würgegriff einer Wirklichkeit zu entwinden, die er als Folter empfand. Manches erwuchs aus dem Zustand höchster und glücklichster Inspiration, anderes als Ausdruck tiefster Verärgerung und Ohnmacht, wovon die unterschiedlichen Tonarten und Schärfegrade der einzelnen Abschnitte reichlich Zeugnis ablegen. Stellt man dem Homo Absolutus seine beiden Brüder, den Homo Viator, vor allem aber den Homo Creator gegenüber, wird man bemerken, wie ungleich ruhiger, reifer, bedächtiger, ja erwachsener diese daherkommen, obschon alle drei in eindeutiger Wesensverwandtschaft zueinander stehen.

Auch scheint mir das Buch heute gerade dort am schwächsten zu sein, wo es auf die meiste Zustimmung traf: in seinen kulturdiagnostischen und politischen Aussagen; sind doch besonders diese teils sprachlich nachlässig skizziert, unsauber und redundant, das Abbild eines gärenden, dauernden Schaffensprozesses, der, kaum abgeschlossen, schon wieder nach einer Revision verlangt. So ist, ohne es zu merken, der Homo Absolutus Opfer jener Symptome geworden, die er beschreibt: als eine Qualzüchtung der »Zivilisation«.

In der neuen, gründlich durchgesehenen, verbesserten und leicht gekürzten Auflage wurde all dem nun ein wenig Abhilfe geleistet, jedoch nicht derart, daß das Buch dadurch seinen alten, spätjugendlichen Charakter verloren hätte: es bleibt ein Dokument des leidenschaftlichen, unzensierten, rücksichtslos-aufrichtigen Denkens und Schreibens, das in hiesiger Kulturlandschaft vielleicht nur wenig Vergleichbares kennt. Denn wie die Erfahrungen lehrten, hätte ein solches Buch kaum irgendwo anders erscheinen können als in der Nische metapolitischer Opposition, da der sogenannte Kulturbetrieb bekanntlich derlei nicht duldet, sondern fundamentale Zeitgeistkritik, falls überhaupt, nur in kastrierter Form erlaubt. – Deshalb bin ich dem Verlag Antaios umso dankbarer, daß er die drei Homines in sein Programm aufgenommen hat, zumal sie sich wohl auch dort ein wenig fremdartig ausnehmen...

 

 

INHALT

 

Absicht

 

I.  Grundlagen

     1. Der Mensch in seiner Zeit

     2. Der Mensch in der Menge

     3. Der Mensch allein

 

II. Nach den Kulturen

     1. Kultureller Wandel

     2. Kunst und Musik

     3. Literatur

 

III. Nach der Politik

     1. Staat

     2. Demokratie

     3. Schuld und Moral

 

IV. Welt als Geschichte

     1. Mensch und Historie

     2. Zeitliches und Überzeitliches

     3. Kultur und Geschlecht

 

V. Elementargewalten

     1. Liebe, Schönheit und Stil

     2. Krieg, Leib und Sport, Zeugung

     3. Freigeist

        

VI. Splitter

     1. Die Frau in der Bar

     2. Nach der Gewalt

     3. Im Garten

 

 

 

Absicht

 

Alle Kultur ist endlich. Und nichts garantiert, daß der Mensch auf seinem Weg durch die Evolution, nachdem er in die Kultur hineingeraten war, ihr nicht auch wieder abhanden kommen kann, weil sie ihm abhanden kommt. Was also, wenn sich langfristig herausstellen sollte, daß das Phänomen der Kulturen innerhalb der Entwicklungsgeschichte nur Episode gewesen ist? Im gleichen Verhältnis, wie sich die heutige Menschheit zu einem globalen Interessenverband in posthistorischer Reife zusammenfindet, schwindet die Kulturfähigkeit des Einzelnen zugunsten eines weltzivilisatorischen Volonté générale.

 

Angenommen, es entstünde nun auf der Grundlage jener Befindlichkeit, die alles Gültige unter Hinweis auf dessen Wandelbarkeit zu relativieren, zu entwerten berechtigt und die sich deshalb jeder Zuordnung in überkommene Weltanschauungen und Moralen entzieht, ein Denken in der Absicht, ohne überlieferte Anweisungen nach der »eigenen«, gewissermaßen »naiven« Vernunft zu suchen, deren erste Quelle und oberste Instanz das bloße Ich sein würde. Wie müßte ein solches Ich beschaffen sein, und worauf gründete es sich?

 

Homo Absolutus – das ist also der Blick auf die Vision des »souveränen Menschen«. Souverän ist der Mensch, der es versteht, autonom und überzeitlich zu denken als ein überlegener, unbeteiligter Beobachter. Der souveräne Mensch ist allein gelenkt durch die »eigene Vernunft«, die immer etwas Exklusives ist. Er buhlt nicht um Anerkennung, indem er die geltenden Meinungen, das öffentliche Bewußtsein taktisch für sich übernimmt, um von der Welt, die ihn umgibt, nicht ausgeschlossen zu werden. Im Gegenteil ist er ein Mensch der Ausschließlichkeit. Seine Souveränität, seine Überlegenheit, seine Freiheit besteht eben gerade darin, sich nicht eine Sache zu eigen machen zu müssen, nur weil ihr anzuhängen soziale Vorteile verspricht. Homo Absolutus  will die große menschliche Herausforderung annehmen, nur sich selber zu gehören. Der absolute Mensch hat erkannt, dass er ein Einziger ist. Er schämt sich seiner Einsamkeit nicht, versucht deshalb auch nicht, ihr zu entfliehen. Dem Primat der Beliebigkeit hält er das Verbindliche seines absoluten Ichs entgegen.

 

Homo Absolutus ist der Versuch eines konsequent von allen metaphysischen und institutionellen Zwängen losgelösten Menschen, ist Versuch der Beschreibung eines Etappenziels auf dem Entwicklungsweg durch die Moderne. Er ist ein gefallener Engel der Kultur und als solcher Segen und Fluch, Verlockung und Alptraum, Versprechen und Verhängnis in einem. Homo Absolutus ist prototypischer Vorschlag einer neuen Aufklärung, die sich gegen die alte richtet, indem sie deren Werte, Regeln und Wahrheiten in Frage stellt. Gewiß – er ist Reaktion. Er ist ein Angriff auf den durch globale Zivilisationshegemonie nivellierten Weltmenschen im Europa des sozial-demokratischen Zeitalters. Homo Absolutus ist ein Appell an die freie Geistigkeit, er will dem »eigenen« Denken eine Schneise schlagen im Dickicht medialer Bevormundung. Er verkörpert eine Befreiungsutopie, also den Wunsch nach Überschreitung herrschender moralischer Axiome und Einheitsinterpretationen in der Mediokratie. Er ist ein gedankliches Experiment: was passiert, wenn ein Mensch nicht das gegenwärtig Erreichte, sondern das Ganze geschichtlicher Empirie und Überlieferung seines Kulturkreises zum Maßstab erhebt? Jenseits von Zeit und Raum sein ganz »eigenes« Menschsein über das der anerzogenen Wahrheiten, Verhaltens- und Denkweisen zu stellen für sich beansprucht? Wenn der höchste Ausdruck geistiger Freiheit für ihn in dem Versuch absoluter Selbstbehauptung liegt? – Eine Selbstbehauptung, die nötig geworden war, nachdem die Kultur keine Verankerung mehr bieten konnte.

 

Homo Absolutus ist philosophische Vision. Er stellt einen Menschen dar, wie er als Reaktion auf den gegenwärtigen, kulturell entheimateten Mitteleuropäer erfolgen oder aus ihm hervorgehen könnte, in manchen Zeitgenossen vielleicht schon ansatzweise steckt. Homo Absolutus ist ein Modell für das Leben jenseits der heute noch wirkungsvollen, aber inzwischen vielerorts ins Wanken geratenen moralischen und sozialen Überzeugungen. – Homo Absolutus ist philosophische Dichtung.